«Nichts ist für immer» von Kathrin Dörig

«Nichts ist für immer» von Kathrin Dörig

9.4.2023

NCCFN Vernissage Kathrin Doerig

Diese Eröff­nung heute ist ein ganz beson­derer Moment, einer­seits für unser neues Kura­toren-Team Lilia und David Glanz­mann. Sie haben seit dem 1. Januar 2023 die Verant­wor­tung und Leitung des Zeug­haus Teufen über­nommen. Innert kurzer Zeit ist ein viel­sei­tiges und dichtes Ausstel­lungs­pro­gramm entstanden, dazu kommen auch neue Formate und Räume wie das Kamin­zimmer oder auch die Bar im Schopf draussen von Barbara Signer und Michael Boden­mann, aber auch Inter­ven­tionen wie Room Lines die kürz­lich im EG statt­ge­funden haben. Nun dürfen wir gemeinsam die erste grosse Ausstel­lung im Mittel­ge­schoss eröffnen. Dazu möchte ich euch und eurem Team sehr herz­lich gratu­lieren! Es ist zugleich auch die erste Einzel­aus­stel­lung des Künst­ler­kol­lektiv NCCFN. Das Künst­ler­kol­lektiv taucht immer wieder an der Öffent­lich­keit auf, es wurde an diverse Events und Ausstel­lungen einge­laden, doch im Kontext eines Museums bietet nun das Zeug­haus Teufen ihnen erst­malig eine Soloshow.

NCCFN (kurz für Nothing Can Come From Nothing) ist ein Netz­werk aus Designer:innen, Hand­wer­ke­rinnen und Kunst- und Kultur­schaf­fenden, das seit 2017 inter­dis­zi­plinär mittels Textil, Foto­grafie und ange­wandter Kunst dring­liche gesell­schaft­liche Themen bear­beitet. So heisst es auf der Webseite. Nina Jaun, sie ist eine Schlüs­sel­person von NCCFN – wir werden sie sogleich noch persön­lich hören – doch betei­ligt am Austel­lungs­pro­jekt hier in Teufen waren über 20 Personen. Ein emsiges Schaffen durch die ganze Woche hindurch, jede und jeder mit einer Aufgabe betraut und doch ein ruhiges und enga­giertes mitein­ander. Es war beein­dru­ckend kurz mitzu­er­leben, wie Koope­ra­tion und Krea­tion ohne Hier­ar­chien und fixe Vorstel­lungen funk­tio­niert. Ich denke es spricht für das Arbeiten des Netz­werks im allge­meinen, wie Beiträge eines jeden einzelnen zu einem span­nenden ganzen verwoben wird. Und nur dieser kleine Einblick schon hat mich nach­denken lassen über das heutige Arbeiten,

Arbeits­plätze, über Regeln und Verträge, über Leis­tung und Entlöh­nung, über Abhän­gig­keiten und persön­liche Frei­heit und Fähig­keiten, über Beschäf­tigt-Sein und über Ruhe­zeiten und Pausen, über das Nichtstun und die Leere als Inspiration.

Nothing Can Come From Nothing

No thing is forever

Stimmt das wirk­lich so?

Nina war kürz­lich in Kairo, durch ein Atelier­sti­pen­dium konnte sie sich in Ägyten mit anderen Künstler:innen und Desi­gnern austau­schen, arbeiten und inspi­rieren lassen. Ausge­rechnet in Ägypten, dem Land mit vorzüg­li­cher Baum­woll­pro­duk­tion. In den vergan­genen drei Jahr­hun­derten ist aus der ägyp­ti­schen Baum­wolle einer der wich­tigsten Wirt­schafts­fak­toren in Ägypten geworden. Mit einem soliden Ruf über ihre ausser­ge­wöhn­liche Weich­heit, Stra­pa­zier­fä­hig­keit und anderer Quali­täts­merk­male, wurde sie zur «besten» Baum­wolle der Welt erkoren. Produkte aus ägyp­ti­scher Baum­wolle sind einfach die schönsten in der Welt. Das schreibt King of Cotten, ein Spezia­list für ägyp­ti­sche Baum­wolle. Warum ich das erwähne, fragen Sie sich sicher­lich? Es gibt mehrere Gründe, einer­seits geht es hier um Texti­lien, um Fashion und Design und die damit verbun­denen Kreis­läufe, die Märkte, die Labels usw. Und weil ich selbst vor zwei Wochen auch in Ägypten war, im Nichts der Weissen Wüste. Von nichts kann nichts kommen – genau diese Aussage hat mich beschäftig, meine Reise hätte ich genauso «Applied Utopia» also ange­wandte Utopie nennen können. Darauf aber komme ich gerne nachher noch­mals zurück.

NCCNF bewegt sich haupt­säch­lich im Kontext von Textil und Design. Die Ausstel­lung ist ein Beitrag zur Debatte um die Zukunft von Textil und Mode im global-lokalen Kontext. Aber nicht nur, sie steht stell­ver­tre­tend und zeigt anhand des Modells der Mode und Textil­in­dus­trie auf, wie wir stetig von Pola­ri­täten umgeben sind und uns darin bewegen müssen.

Ange­ordnet hier den Aussen­wänden entlang in einer Art Markt­si­tua­tion werden an verschie­dene Stationen Projekte und Themen gezeigt. Als verbin­dendes Element wurde in gesamten ein grauer Teppich ausge­legt. Wie beim Besuch eines Basars können wir nun von Auslage zu Auslage gehen und uns inspi­rieren, über­zeugen oder abschre­cken lassen.

In der Mitte beispiels­weise finden Sie den Stand mit der Sport­mode, entstanden durch einen Fehler bei der Produk­tion. YB (young boys) hatte bei Nike eine grosse Bestel­lung neuer Trikots in Auftrag gegeben, doch leider gab es wohl ein Miss­ver­ständnis bei der Grös­sen­ta­belle, so dass die Trikots nie zum Einsatz kamen. Es hätten alle Klei­dungs­stücke vernichtet werden müssen. Genau hier setzt NCCNF an, zeigt den Wahn­sinn an Fehl-Produk­tionen und Verschleiss von Ressourcen auf. Glück­li­cher­weise wurden sie in diesem Fall ange­fragt, eine Lösung zu suchen, wie die Shirts trotzdem genutzt werden können. Sie haben sie umge­näht, neue Schnitte kreiert oder mittels Sieb­druck Sujets zu versehen, um so eine neue Kollek­tion für den Verkauf entstehen zu lassen. Leider muss ich sie enttäu­schen, die Shirts und Hosen warn innert kürzester Zeit ausver­kauft, aber weitere Acces­soires und Klei­dungs­stücke können über die Webseite von NCCFN erworben werden.

Wenn Sie auf dem Markt­platz weiter gehen, werden ihnen weitere Projekte begegnen und dabei werden Themen aufge­griffen wie Mensch und Mate­rial oder Rational und Irra­tional, Lokal und Global, Original und Fake, indi­vi­duell und kollektiv. Dabei geht es dem Netz­werk nie darum, mit dem Finger auf etwas zu zeigen. Viel­mehr werden mit dem Gegen­über­stellen und Aufzeigen von Gegen­sätzen Gedan­ken­gänge ange­regt. In einem spie­le­ri­schen und leichten Umgang sollen sie dazu ange­regt und inspi­riert werden, Dinge zu hinter­fragen oder einfach auch einmal anders zu machen. Dabei ist der Dialog so wie die persön­liche Ausein­an­der­set­zung genau so wichtig. Als zentrales Element der Ausstel­lungs­kon­zeptes wurden deshalb eine Gesprächs­reihe konzi­piert. Einge­laden sind Personen aus den unter­schied­lichsten Diszi­plinen, der Künstler Olaf Nicolai, Grafi­kerin Aurelia Mark­walder oder die TaDA-Kura­torin Mari­anne Burki und jeweils ein NCCFN-Über­ra­schungs­gast. Und wenn es ihnen bei all den Konsum­an­ge­boten, den Gedan­ken­spielen und visu­ellen Reizen zu viel wird, darf sich hinten im grauen Kabi­nett erholen. Und damit wäre der Kreis zur anfangs gestellten Frage zum Nichts und der Wüste Ägyp­tens wieder geschlossen. Grau als zentrale Farbe oder besser gesagt als Nicht-Farbe des Ausstel­lungs­bo­dens, als Boden der Aussaat und Raum der Ernte. Wir sind Produ­zenten und Konsu­menten zur selben Zeit. Es gibt kein rechts oder links, kein richtig oder falsch, es gibt keine Kate­go­rien oder Klassen, es gibt nicht nur das Vergäng­liche oder das Andau­ernde, du bist nicht schnell oder langsam, reich oder arm. «We are shady». Dies trifft es wunderbar.

Es lohnt sich allemal, sich wieder einmal hinzu­setzten und über die vermeint­liche Wirk­lich­keit nach zu sinnieren, sei es hier im Grauen Kabi­nett oder in der Weissen Wüste Ägyp­tens. Was aus dem Nichts entstehen kann, fühlt sich gross­artig an und nichts ist für immer.

Foto­grafie ©Daniel Ammann

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